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Monat: August 2021

Und täglich grüsst das Murmeltier

Und täglich grüsst das Murmeltier

1. August 2021 – 13. Nachtwache in Folge

Wer mich ein bisschen kennt, der weiss was ich für ein Murmeltier sein kann. Und das geht so: müde, müder, Augen zu und es schläft – immer und überall. Ich kann dagegen ankämpfen, aber selbst wenn ich wollte – ich kann nicht gewinnen. Zuletzt ist mir das passiert, als ich mich mit Katrin in Kiel getroffen habe. Das war im Juni, kurz bevor wir in den NOK (Nord-Ostee-Kanal) eingebogen sind. Wir hatten uns eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen, der Abend war lang und wir hatten uns so viel spannende Geschichten zu erzählen. Doch auf einmal war ich so müde, dass ich – während Katrin sprach 🙄 – einfach kurz eingenickt bin – Sekundenschlaf. Liebe Katrin, ich hoffe, du verzeihst mir, es war wirklich nur ein klitzekleiner Moment 😇.

Katrin und Biggi in Kiel – Holtenau

Also, langer Rede, kurzer Sinn. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das mit mir klappen sollte, wenn ich auf RARE BREED für die Nachtwache eingeteilt bin.

Die erste Wache von 20 bis 23 Uhr war Jan‘s Part, von 23 bis 2 Uhr war ich dran, für die dritte von 2 bis 5 Uhr war wieder Jan zuständig und ich schliesslich von 5 bis 8 Uhr. Da hiess es: wach sein und wach bleiben – schliesslich hatte Jan bzw. ich in dieser Zeit die Verantwortung für Schiff und Besatzung. 

Ok, 23 Uhr bis 2 Uhr morgens. Das war einfach. Schnell mal die Zeit zurückgespult auf 1986 (als ich Anfang 20 war) und das gleiche Prozedere von damals durchgeführt. Um 20 Uhr ins Bett gehen, Wecker stellen, vorschlafen, raus aus den Federn, Wasser ins Gesicht, rein in die lange Unterwäsche und Ölzeugs drüber (früher natürlich duschen, schminken und Ausgehklamotten anziehen). Und dann anstelle in die Disco, ab in den Steuerstand. Statt abzutanzen ging es hier darum, Wetter, Wind und Segelstellung sowie den Schiffsverkehr über das AIS im Auge zu behalten.

1. August 2021 um 00.01 Uhr – Medi Serapo unterwegs mit 14.3 Knoten – geht vor uns durch 😉

Und: Alle 15 Minuten einen Rundumblick zu tätigen, ob nicht irgendwo ein Boot ohne AIS auftaucht. Pünktlich um 2 Uhr kam Jan zur Wachablösung und schickte mich mit einem „Hab eine schöne Freiwache“ zurück in die Koje. Und das liess ich mir nicht zweimal sagen. Raus aus den Klamotten, Wecker stellen, hinlegen und weg war ich. Um 4:45 Uhr grölte die Melodie von Miss Marple aus dem Handy – es war Zeit wieder aufzustehen, damit Jan in seine wohlverdiente Freiwache entschwinden konnte. Das Aufstehen kurz vor 5 ging locker vom Hocker – fast wie zuhause an einem ganz normalen Arbeitstag. Dass hier drei Stunden später schon wieder der Feierabend eingeläutet wurde, kam mir gerade recht. Und täglich grüsst das Murmeltier ging’s wieder ab in die Falle für ein paar Stunden. Ab der 5. Nacht, die Schiffsbegegnungen hatten sich auf 1 bis 0 pro Schicht reduziert, konnten wir sogar zwischen den 15-Minuten-Kontroll-Ausgucken ein kurzes Schläfchen wagen. Auch hier hat Miss Marple dafür gesorgt, dass ich keinen „Guck“ verpennt habe.  Nach einigen Tagen wird auch das zur Routine und ich bin froh, dass bis jetzt alles so gut geklappt hat. 

In den ersten drei Wache-Tagen haben wir ja die berühmt berüchtigte Biscaya überquert (ihr kennt das Gebiet bestimmt vom Wetterbericht: Das Tief, dass über die Biscaya zieht. … Biscaya, mit dem Titel gibt es übrigens auch ein tolles Lied von James Last).  Anyway, da war’s auf jeden Fall nachts wirklich frisch und warme, winddichte Kleider, dicke Socken und Schuhe dringend erforderlich. 

Je weiter südlich wir kamen, mit der Nortada (portugiesisch für Nordwind, der zwischen Juni und September vorherrschende Wind in diesem Gebiet) im Rücken, konnten wir nach und nach erst das Ölzeugs an den Haken hängen, dann die lange Jacke und schliesslich Schuhe und Socken weglassen. 

Ich habe den Atlantik in den letzten sieben Nächten in allen möglichen Facetten erleben dürfen. Mit kaltem Wind und viel Welle, welche furchteinflössend wie Beton von unten gegen das Boot krachten, mit Mondaufgängen in blutorange, mit wilder See und brechenden Wellen (für mich als Segelneuling zumindest), bis hin zu windstill mit fast glatter See, mit Sonnenuntergängen, deren Schönheit sich so spät am Abend bei Wachübernahme nur noch erahnen liess, einer Neumondnacht in denen Millionen von Sternen am Himmel funkelten – einfach nur gewaltig.

Meer – und noch mehr Meer ⛵️

Danke an den Wettergott und alle anderen „dafür Zuständigen“, dass wir die etwa 1000 Nautischen Meilen ohne Störungen zurücklegen konnten.

Ich schreibe das hier während meiner 23-bis-2-Uhr-Nachtwache und wir haben noch ca. 90 Nautische Meilen (ca. 166 km) bis Porto Santo bei Madeira.

Bald haben wir es in die Ankerbucht geschafft ⚓️

Wir laufen mit 6 bis 7 Knoten (nach 5 Tagen mal wieder mit Volvounterstützung von Steuerbord) bei relativ ruhiger See, die Nacht ist bisher sternklar und der Wind und die Luft lauwarm – kurze-Hose-Wetter! Wir sind so langsam auf der Barfussroute angekommen.

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Blauwassersegeln, wenn schon, denn schon!

Blauwassersegeln, wenn schon, denn schon!

Blauwassersegeln ist, wenn man die flachen Küstengewässer hinter sich lässt und immer weiter raus aufs Meer segelt. Jenseits des Kontinentalsockels, wo das Meer Tausende von Metern tief wird und die Farbe des Wassers dieses tiefe intensive Blau bekommt. Rund ums Boot nichts als Wasser und Himmel, tagsüber Sonne und Wolken, nachts Sterne und Mondlicht. Kein Land in Sicht, keine Funkverbindung und tagelang kein anderes Schiff. Man sieht höchstens mal einen Vogel, ein Fischschwarm oder Delfine. Das Boot befindet sich gefühlt immer am gleichen Fleck Wasser. Der Autopilot steuert und die Segel stehen tagelang unverändert und schieben das Boot unermüdlich vorwärts – rund um die Uhr. Die zurückgelegte Strecke wird aber nicht wahrgenommen, sondern nur durch den wandernden Punkt auf der Karte visualisiert. Die Tage und Nächte fliessen übergangslos ineinander.

Der Tag geht langsam in die Nacht über

Nach Tagen oder Wochen taucht plötzlich wieder Land am Horizont auf. Das kleine private Universum in dem man sich befunden hat verschwindet und man kehrt wieder ins „normale“ Leben zurück. Man kommt womöglich sogar an einem anderen Kontinent oder einer Insel in einem neuen Kulturkreis an, dabei hat man doch gefühlt eben erst aus einer ganz anderen Welt abgelegt.

Impressionen von unterwegs

24.07.-03.08.2021: l’Aber Wrac’h nach Porto Santo, 1’200 sm in 8,5 Tagen

Routenplanung für die kommenden Tage

Am Samstagabend, den 24. Juli war es endlich soweit – Biggi‘s Flieger ist mit ca. 45 Min. Verspätung um kurz nach 23 Uhr in Brest gelandet. Müde, aber froh wieder hier zusammen zu sein, haben wir bei einem Leberwurstbrot die Lage besprochen. In den kommenden drei Wochen wollten wir RARE BREED an den Ort bringen, von wo wir im Herbst endgültig starten konnten. Das heisst soweit in den Süden wie möglich, damit wir nicht im November unter Umständen atlantisches Winterwetter erleben müssen. Von unseren Startpunkt – l’Aber Wrac’h in der Bretagne – hiess das, zuerst die Biskaya zu überqueren und danach noch möglichst bis Lissabon oder besser noch weiter südlich zu kommen. Die Biskaya ist bekannt für ihre starken SW-lichen Winde oder sogar Stürme. Was hier besonders ist, der Meeresgrund in der Biskaya fällt in wenigen Kilometern von Hunderten auf bis zu Dreitausend Meter Tiefe ab. Wenn ein Tiefdruckgebiet mit starken westlichen Winden über dieses Gebiet kommt, baut sich hier ein Seegang auf, der auch grösseren Schiffen zum Verhängnis werden kann. Jeder Segler, der da durch will, versucht ein möglichst optimales „Wetterfenster“ ohne herannahendem Tiefdruckgebiet oder starke westliche Winde zu erwischen. So natürlich auch ich und alle anderen Segler, mit denen ich mich in den letzten Wochen hier unterhalten hatte. Da es für die meisten die erste Biskaya-Überquerung und für viele sogar die erste Passage über offenes Meer, ohne Möglichkeit einen Schutzhafen aufzusuchen, war, waren alle etwas nervös. Zusammen hatten wir die Wetterentwicklung verfolgt und uns über den besten Zeitpunkt für den Absprung unterhalten. Die einhellige Meinung war, dass der Sonntag (also am Tag nachdem Biggi angekommen ist) DER ideale Tag sein würde.

Abfahrt aus l’Aber Wrac’h bei diesigem Wetter

So kam es, dass Biggi nach nicht mal 6 Stunden Schlaf sonntagmorgens um 6 Uhr im Ölzeug an Deck stand und beim Ablegen half. Schnell los wollten wir ja schon, aber das war jetzt schon etwas heftig. Ich hatte im Vorfeld natürlich alles vorbereitet, eingekauft und für zwei Tage vorgekocht. Aber so ohne Eingewöhnung und noch müde von der Anreise für einen mehrtägigen Törn über eines der berüchtigtsten Seegebiete von Europa loszufahren, war eigentlich entgegen allen gängigen Regeln. Erst recht, als es auch das erste Mal sein würde, dass Biggi über das offene Meer segeln würde. Dass sie das klaglos mitgemacht hat zeigt mir, dass ich keine bessere Partnerin hätte finden können! Die Abfahrt am frühen Morgen war, wie in diesem Gebiet üblich, durch die Gezeiten und den damit verbundenen starken Strömungen gegeben.

Noch müde von der Anreise

Die ersten Stunden sind wir unter Motor gegen leichten Westwind, aber mit immer stärker werdendem mitlaufendem Strom zu der Ile d’Oussant rausgefahren. Westlich von der Insel konnten wir abdrehen und auf unseren Zielkurs von ca. 230° gehen. So schön es ist mit bis zu 7 Knoten mitlaufendem Strom geschoben zu werden, so schlimm sind die dabei entstehenden Wellen und Verwirbelungen im Wasser. Während vielleicht 30 Minuten sind wir durch ein Gebiet gefahren, wo das Wasser regelrecht gekocht hat und RARE BREED wurde derart durchgeschüttelt, dass die arme Biggi auch noch richtig seekrank wurde und das Frühstücksmüesli den gleichen Weg zurück nahm,  wie es vor einer halben Stunde genommen hatte… Das war jetzt alles andere als ein optimaler Ferienstart bzw. Start vom ersten Blauwassertörn auf unsere Reise.

Kaum los und schon hat sich die Reffleine der Rollanlage eingeklemmt und muss „enttüddelt“ werden. Da ist man froh, wenn das Wasser ruhig ist!

Der erste Teil der Biskaya-Überquerung war durch durchzogenes Wetter mit viel Wolken und eher schwachem Gegenwind geprägt. Da wir uns in dieser Gegend nicht unnötig lange aufhalten wollten, haben wir bei Geschwindigkeiten unter 3 bis 4 Knoten jeweils einen der Motoren mit 1500 bis 1600 Umdrehungen mitlaufen lassen. So konnten wir mit möglichst wenig Dieselverbrauch eine Geschwindigkeit von ca. 5 Knoten halten. In den Morgenstunden des zweiten Tages haben wir den Kontinentalschelf überfahren und hatten danach etwa 3‘000 m Wasser unter uns. Jetzt war Biggi zum ersten Mal im Leben wirklich weit draussen auf dem Meer. 

„Over the Abyss“: Überfahren des Kontinentalsockels ins wirklich tiefe Wasser – hier fällt der Meeresgrund steil von wenigen hundert Metern auf bis zu 3’000 Meter Tiefe ab

Während der ganzen fast 4 Tage, die wir gebraucht haben, bis wir durch die Biskaya waren, sind wir von der Berufsschifffahrt umgeben gewesen. Die meisten haben uns mit genug Abstand gekreuzt oder überholt. Wenn es drohte eng zu werden, haben wir sie per Funk angerufen und auf uns aufmerksam gemacht. Das hat bis auf einmal tadellos geklappt und sie haben, wenn nötig, den Kurs ein wenig angepasst, um uns nicht zu nahe zu kommen. Anders als z. B. im Englischen Kanal hat ein Segelboot auf offener See sogar vor den grössten Tankern Wegerecht. Aber sich darauf zu verlassen oder dies sogar „einzufordern“ wäre töricht. Daher haben wir ständig das AIS (eine Art Transpondersystem, welches alle meldepflichtigen Schiffe im Umkreis von ca. 10 Seemeilen anzeigt) am Laufen, welches uns bei drohenden Kollisionen mit einem akustischen Alarm warnt. Mit dem AIS ist es ein leichtes, den Kurs, Geschwindigkeit und andere Angaben von allen Schiffen in der Nähe zu sehen.

Tanker am Horizont – Begleitung in die Nacht

Die meisten Grossen verhalten sich vorbildlich und nehmen auf uns Rücksicht, aber Ausnahmen gibt es immer. Natürlich nachts und natürlich während Biggi’s Wache kam ein Dampfer von hinten immer näher. Die Angaben im AIS sagten voraus, dass er uns mit 0 (=Kollision!!) bis 50 m Abstand passieren würde. Biggi hat mich dann doch geweckt, weil es ihr (zu Recht) langsam mulmig wurde. Auf meinem Funkspruch hin kam die übliche Antwort „Yes I have seen you and will keep clear of you.“ Aber er änderte seinen Kurs kein bisschen (Das kann man auch im AIS sehen, da dort sogar die Winkelgeschwindigkeit/Minute angegeben wird – wir sehen also, ob ein Schiff Ruder gibt, oder nicht) und er kam unaufhörlich immer näher. Das auf offener See geltende Recht zur Vermeidung von Kollisionen gibt vor, dass der Überholende dem Überholten ausweichen muss und dass der Überholte im Gegenzug Kurs und Geschwindigkeit beibehalten soll. Also taten wir, wie uns geheissen und harrten der Dinge die da kommen mögen (selbstverständlich bereit jederzeit korrigierend einzugreifen). Schlussendlich ist er mit weniger als 100 m Abstand (viel zu nah) an uns vorbei und wir konnten dem direkt in die Brücke reinschauen. So ein Depp!!

Darstellung auf der AIS-Anzeige

Was auf der ganzen Strecke durch die Biskaya schön war, war die häufigen Besuche von Delfinen und einmal zog sogar ein Rudel Schweinswale an uns vorbei.

Delfine am Bug

In der dritten Nacht ist eine Wolkenwand aufgezogen und hat uns während knapp fünf Stunden Wind bis 25 Knoten gebracht. Wir liefen unter Fock (dem kleineren Vorsegel) und Gross so hoch wie möglich am Wind und sind mit konstant 7 bis 8 Knoten, in Spitzen fast 10(!), regelrecht durch die Nacht gerast. Das war auch für mich eindrücklich zu erleben wie RARE BREED mit diesen Bedingungen umgegangen ist. Die überladene Lady war ja doch nicht so träge, wie ich angenommen hatte! 

Wolken mit Regenschauern ziehen auf

RARE BREED ist zwar ein Katamaran, aber anders als die meisten moderneren französischen Modelle, die vor allem auf viel Raum ausgelegt sind, ist sie weniger breit, hat weniger hohe Aufbauten und ist insgesamt stromlinienförmiger. Das heisst, sie hat Segeleigenschaften, die irgendwo zwischen denen eines Katamarans und eines Einrumpfbootes liegen. Das hat man in dieser Nacht gut gemerkt, als sie sich regelrecht zur Seite geneigt hat und so geblieben ist, während sie in einem für einen Katamaran eher spitzen Winkel zum Wind vorangeprescht ist. 

Kurz vor dem Ende der Biskaya – mit „Vollgas“ durch die Nacht

Nach 4 Tagen hatten wir die Biskaya hinter uns gelassen und sind auf direktem Kurs Richtung Madeira weitergesegelt. Der Wind hat nach einer kurzen Flaute auf der Höhe vom Kap Finisterre (Galizien) langsam auf NW zu NNW gedreht und sich so stabilisiert. Nun hatten wir den Wind von schräg hinten – die Idealbedingungen für ein angenehmes und doch zügiges Segeln.


Und wenn das Wetter mitspielt ist das Segeln doch schön 🙂

Obwohl der Wind selten mit mehr als 10 bis 15 Knoten wehte, kamen wir mit 5 bis 7 Knoten gut voran. Und die Sonne schaute immer öfters hervor und es wurde spürbar wärmer. Das Ölzeug kam immer seltener zum Einsatz und wurde durch den Sonnenhut ersetzt. 

Die Kopfbedeckung der Wahl für den modebewussten Blauwassersegler von heute 😉

Um die Müdigkeit in Grenzen zu halten, haben von Anfang an einen festen Wachrhythmus gefahren. Der fing abends um 20 Uhr mit meiner Wache an. Um 23 Uhr hat Biggi übernommen, um 02 Uhr wieder ich und von 05 bis 08 Uhr war Biggi wieder dran. Tagsüber hatten wir keinen festen Wachplan, sondern uns abgesprochen wer „den Ausguck hat“ und der andere konnte sich dann ausruhen. 

Tagsüber wurde der fehlende Schlaf nachgeholt

Anfänglich waren wir beide tagsüber noch sehr müde (der Nachtschlaf war bei dem ewigen Geschaukel und Lärmpegel halt auch nicht immer erholsam) und wir haben uns nur kurz bei den Übergaben gesehen. Nach ein paar Tagen ging es dann aber besser und wir haben viel Zeit zusammen im Cockpit verbracht. 

Biggi’s Seebeine wollten leider nicht so recht wachsen und so war es ihr immer wieder etwas flau zu Mute (Anmerkung von Biggi: das ist völlig untertrieben – mir war sehr elend 😉 Sie hat brav alle ihre Wachen gemacht, aber ausser um zu schlafen, konnte sie im Schiff drin nicht richtig etwas machen. Darum war ich für die Verpflegung und sonstige Tätigkeiten (Motorenkontrolle, Logbuch schreiben usw.) zuständig. Ich denke, dass dies teilweise auch mit der überstürzten Abfahrt und fehlender Eingewöhnung an Bord zu tun hat. 

Am Donnerstag, den 5. Tag zur See, hatten wir mit 545 Seemeilen die halbe Strecke nach Madeira hinter uns. Ab jetzt ging es nur noch „bergab“ und die Wettervorhersagen, die wir zwei Mal täglich über Satellit reinholten, sagten weiterhin schwache bis mässige nördliche Winde für die ganze Strecke voraus.

Ab jetzt gab es nur noch Wind von hinten

So rechneten wir mit insgesamt 10 Tagen auf See, aber der zweite Teil, war definitiv viel angenehmer und entspannter als die Biskaya-Überquerung. Nicht zuletzt, weil wir inzwischen so weit draussen waren, dass wir sogar weit ausserhalb der Schifffahrtsrouten zwischen Gibraltar und dem Englischen Kanal unterwegs waren. Von hunderten von Schiffsbegegnungen pro 24 h in der Biskaya ging es auf 2 bis 4 pro 24 h zurück. Hier draussen gab es auch keine Fischerboote, kein Wunder, denn ausserhalb des Kontinentalschelfes gab es wohl auch keine Fische. Bei unseren Angelversuchen hat nämlich leider nur eine Möwe(!) angebissen. Das arme Vieh ist mit dem Schnabel im Haken hängen geblieben und hat ganz aufgeregt hinter uns herumgeflattert, manchmal im Wasser und manchmal in der Luft. Dies ist mir bisher erst einmal im Leben passiert und es erstaunt mich, dass ein Vogel mit seinen guten Augen einen roten Gummiköder als Fisch einschätzt. Zum Glück war der Haken nur im Schnabel „eingehängt“ und hat keine Verletzungen verursacht und ich konnte die Möwe (mit Handschuhen, denn so ein Möwenschnabel ist nicht ohne…) packen und vom Haken befreien. Wusstet ihr, dass Möwen neben einem wehrhaften Schnabel auch ganz scharfe Klauen an den Füssen haben? Jetzt weiss ich auch das (Segeln bildet ;-)) und habe eine kleine Schramme am Unterarm als Erinnerung. Die Möwe ist auf jeden Fall sofort wieder davongeflogen und hat hoffentlich auch etwas für’s Leben gelernt… Biggi hat gemeint, dass wir zukünftig eher vom „Fischen“ als vom „Angeln“ reden sollten. Ob das hilft …? Wie auch immer, die Eiweissversorgung mit Fischen abzudecken ist wohl keine so erfolgversprechende Option. 

Durch die Einsamkeit hier draussen und das mitlaufende AIS wurde unser Ausguck natürlich wesentlich vereinfacht und der jeweils Wachhabende konnte sich den Wecker auf 15 bis 20 Minuten stellen und auch hinlegen und ein wenig dösen. So waren wir insgesamt auch weniger müde und konnten mehr von der vielen Freizeit zusammen geniessen.

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Je weiter südlich wir kamen, desto wärmer wurde es und unser Ölzeug hing zwar noch griffbereit am Haken, aber wurde nicht mal mehr nachts benötigt. Morgens und abends haben wir noch einen Pulli und eine lange Hose angezogen, tagsüber war es so warm, dass wir nur etwas anzogen, um uns vor der Sonne zu schützen.

Die Sonne brennt vom Himmel

Wir waren definitiv auf der Barfussroute angekommen! Ein weiteres Indiz dafür war der vertrocknete Kalmar, den ich später an dem Tag auf dem Vordeck gefunden habe. Der arme Kerl wurde wohl gejagt und hat sein Heil mit einer Flucht durch die Luft gesucht und ist dabei bei uns an Deck gelandet. Eine klassische lose-lose-Situation: für den Jäger, für den Gejagten und für uns, die wir jetzt einen Tintenfleck an Deck haben.

Auf dem Breitengrad von Afrika angelangt

Am Schweizer Nationalfeiertag gab es zwar keine Cervelats, aber sonst war das eines der Highlights auf der Strecke bis Porto Santo. Wir wussten, dass es der letzte ganze Tag auf See sein würde und haben ihn so richtig genossen. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel, kein Schiff weit und breit. Als erstes haben wir wieder Mal die Angelrute rausgehängt. Dieses Mal mit „Willy the Wobbler“, ein richtig lecker aussehender blausilbrig schimmernder Köder in Fischform. Wenn die bisher benutzten Tintenfischköder nicht genehm waren, dann vielleicht dieser?

Köderwechsel – jetzt aber!

Als der Wind immer mehr abnahm und immer mehr von hinten kam, war der Moment für den Spinnaker gekommen. Das war eine Premiere für uns und so haben wir uns vorher genau überlegt, wer wann was machen muss, damit sich das Riesentuch weder verheddert, noch ins Wasser fällt. Nach etwa einer Stunde schweisstreibendem Rumwerkelns inkl. einem Fehlversuch (Segel wickelte sich um die aufgerollte Genua und musste wieder runter) hat es dann geklappt und unser grosses schwarzrotes Leichtwindsegel blähte sich vor RARE BREED auf und fing an uns übers Meer zu ziehen. Was für eine Freude; fast kein Wind (5 bis 8 Knoten) und dieses Tuch schob uns mit ca. 5 Knoten über’s flache Meer.

Den eigenen Spi vernünftig auf ein Bild zu bekommen ist nahezu unmöglich

Einige Zeit später (ich war unten und habe in der Küche die Reste von unserem „z’Vieri“ weggeräumt) schlug die inzwischen schon fast wieder vergessene Angel an! Biggi, oben im Cockpit ist vor Aufregung im Viereck gesprungen und hat lauthals „FIIIIIISCH, FIIIIIISCH!!“ gebrüllt. Und tatsächlich, die Rute war gespannt wie ein Flitzebogen und es hat sich immer mehr Silk abgespult. Mit dem Spinnaker und das Grosssegel oben gab es keine Möglichkeit das Boot zu stoppen und so musste ich den Fisch in Fahrt reinholen. Fitnesstraining für faule Segler und zum zweiten Mal an diesem Tag verschwitzt! Es war nicht nur der erste Fisch der Reise, sondern es war sogar der schmackhafteste, den man bekommen kann – eine Golddorade (Mahi-Mahi oder auch Dolphin genannt)! Ich denke „Willy the Wobbler“ hat’s gebracht 🙂

Was ist da denn dran?
Fischerglück
Eine Golddorade, Mahi-Mahi oder Dolphin. Dieser Fisch hat viele Namen.

Nach dem Filetieren und wieder Saubermachen des verschmierten Achterdecks, gab es einen „Poisson Cru“ nach polynesischer Art. Frischer als so geht nicht und da der Fisch in diesem Gericht nur durch Lime (bzw. Zitronensaft) und Kokosmilch „gegart“ wird, ist es nur mit wirklich frischem Fisch zuzubereiten.

Biggi am Filetieren

Abends gab es dann in Butter gebratenen Fisch – sagenhaft! Die Reste (immerhin 2/3 des Fleisches) wanderten dann in den Kühlschrank bzw. ins Gefrierfach.

Poisson Cru a la Tahitienne

Den Spi liessen wir bis abends um 21 Uhr stehen und holten ihn vor Einbruch der Nacht ein. Vom Wind her hätte er stehen bleiben können, aber ihn zum ersten Mal im Dunkeln einzuholen war uns zu heikel. Nach 5 Tagen nonstop segeln musste mal wieder einer der Motoren etwas nachhelfen. Bei dem schwachen Wind haben wir mit den normalen Segeln alleine zu wenig Fahrt gemacht um noch vor Einbruch der Dunkelheit am nächsten Tag anzukommen. 

Die letzet Nacht auf See bricht an

Nach 8 ½ Tagen kam um 10:15 Uhr am 2. August tatsächlich Land in Sicht, also für Biggi – ich sah es mit meinen „Adleraugen“ natürlich erst etwas später… Was sind wir doch für tolle Navigatoren, so ein kleines Stück Land mitten im Atlantik zu finden! Spass beiseite, auch wenn es heutzutage mit GPS, Dieselmotoren usw. keine Kunst mehr ist, eine Insel irgendwo im Meer zu finden (und auch hinzukommen), ist es trotzdem ein spezieller Moment, wenn das erste Land seit vielen Tagen am Horizont auftaucht. Plötzlich gibt es etwas auf dem man seine Augen ruhen lassen kann und nicht nur Wasser soweit das Auge reicht. Und – heutzutage nicht mehr weg zu denken – bald einmal wieder ein Mobilfunksignal 😉

Land in SIcht! Porto Santo voraus.
1’200 Seemeilen nonstop

Weil wir Wasser und Diesel auffüllen wollten sind wir in den Hafen von Porto Santo gefahren. Das war in mehrfacher Hinsicht keine gute Idee! Leider gibt es dort – entgegen den Angaben im Cruising Guide keine Gastliegeplätze. Beim Anlegen an einem temporär freien Platz hat Biggi sich, beim an Land springen so unglücklich verdreht, dass sie ihre eigene Rippe gequetscht oder geprellt hat. Der Schmerz war so schlimm, dass ihr fast die Puste wegblieb. An Land dürften wir sowieso erst, nachdem wir uns elektronisch angemeldet und unsere Impfzertifikate an das örtliche Krankenhaus gesendet und von dort für gut befunden worden sind. Da wir aber nur vorhatten 1 bis 2 Nächte zu bleiben, haben wir darauf verzichtet. Nur schnell den Wassertank füllen wäre ja noch toll, Fehlanzeige, der Liegeplatzbesitzer hat uns weggescheucht als wir erst etwa 100 l drin hatten. Und um Diesel zu bekommen hätte man sich vorher bei drei(!) Behörden anmelden müssen. Und ohne die Freigabe durch das Krankenhaus lief sowieso nichts. Willkommen im Bürokratieparadies Porto Santo… Also nichts wie wieder weg und neben dem Hafen vor Anker gehen. Hauptsache wir konnten mal eine Nacht durchschlafen. Der Abend war entsprechend etwas trist, statt sich über unseren ersten Blauwasserschlag zu freuen, hat Biggi trotz Schmerzmittel sehr starke Schmerzen gehabt und ist vor Erschöpfung auf dem Sofa eingeschlafen, während ich mich nach einer geeigneten Marina auf den Kanaren schlau gemacht habe. Wir wollen nämlich RARE BREED für ca. drei Monate dort in eine Marina legen, während wir beide in der Schweiz sind, um dort alles aufzulösen.

Abendstimmung vor Anker in Porto Santo
…und der Blick aus der Koje am nächsten Morgen

Am Tag darauf ging es Biggi – Schmerzmittel und Durchhaltewille sei Dank – etwas besser und wir haben mit den dringendsten Arbeiten angefangen, um später den etwa 2 bis 3 Tage langen Schlag zu den Kanaren machen zu können. Der Wassermacher wurde etwas früher als vorgesehen in Betrieb genommen und ist ein voller Erfolg: 140 (oder sogar mehr) Liter bestes Trinkwasser pro Stunde!

Wasser marsch!

Nach nicht mal 2 Stunden Laufzeit war der Tank und alle Trinkwasserflaschen voll und Biggi hat die günstige Gelegenheit genutzt und ihre Haare direkt unter dem Schlauch des Wassermachers gewaschen.

Haarewaschen vor Anker

Parallel dazu haben wir die Angebote der Marinas verglichen; die Preise für 3 Monate für einen Liegeplatz differieren um bis zu € 1‘000.-. Glücklicherweise war unser Favorit eine der günstigeren und so haben wir die Reservation für Arrecife auf Lanzarote gemacht. Danach konnte Biggi ihren Heimflug von dort buchen. Und das alles von Bord aus ohne einen Fuss an Land zu setzen. Der Segen der modernen Kommunikationsmittel hat auch das Segeln massiv vereinfacht.

Dann wurden noch diverse kleine Wartungsarbeiten erledigt und Essen für den nächsten Schlag vorgekocht. Der Tag ging schnell um und wenn alles klappt, wollten wir tags darauf die ca. 270 sm nach La Graciosa in den Kanaren in Angriff nehmen.

Für die, die sich vielleicht fragen, wann wir endlich zur Ruhe kommen und mal einen Tag lang gar nichts machen: Der Grund, dass wir den ersten Teil der Reise so zügig durchziehen ist, weil wir rechtzeitig genug weit südlich sein wollen um Ende November einen guten Ausgangspunkt zu haben. Weil wir vorhaben, die Atlantiküberquerung in die Karibik diesen Winter zu machen, boten sich die Kanaren an. Um in Biggi’s 3 Wochen Ferien von L’Aber Wrac’h bis dorthin zu kommen, wollten wir lieber am Anfang Gas geben, damit wir noch ein paar Tage Ferien auf den Kanaren machen können, bevor sie Mitte August zu ihrem letzten Arbeitseinsatz in die Schweiz zurückfliegt.

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Ratz-Fatz raus aus der Komfortzone

Ratz-Fatz raus aus der Komfortzone

03.07-23.07.2021

Also Ratz-Fatz lieb ich ja – weil: geht schnell und funzt. Sei es beim Ratz-Fatz-Kuchenrezept, Ratz-Fatz-Pastateig oder Ratz-Fatz-Nudelsalat. Aber genauso Ratz-Fatz waren meine Ferien am 3. Juli vorbei und der Abschied von Jan und dem Bootsleben fiel mir schwer. Und das, obwohl ich wusste, dass ich in 3 Wochen bereits wieder zurückkommen würde. Ob unser Wiedersehen allerdings wie geplant in Brest stattfindet, das würde sich schon bald zeigen.

Mein Flug von Amsterdam nach Zürich war pünktlich und so war ich um 18 Uhr bereits zuhause in Nänikon. Das Gefühl, das ständige Schwanken ausgleichen zu müssen, sollte mich noch ein paar Tage begleiten.

Voller Euphorie hatte ich am Sonntag bereits sämtliche Klamotten gewaschen und alles bereitgestellt, was auf Jan‘s Wunschliste stand, das unbedingt mit zu RARE BREED sollte – ich war eigentlich schon wieder fertig zum Abreisen 😉

Ich war selbst überrascht, dass alles in die Tasche ging 😉

Zur gleichen Zeit in Amsterdam war RARE BREED bereit zum Ablegen. Ich würde die Reise begleiten – mit dem Finger auf der Seekarte, oder besser gesagt am Bildschirm über Share.Garmin. Alle halbe Stunde sollte eine neue Punkt-zu-Punkt-Verbindung zu sehen sein und ich würde beobachten können, wie RARE BREED und ihre Besatzung sich ihren Weg von Amsterdam in den Englischen Kanal bahnt. Der erste Punkt, den Garmin im Angebot hatte, lag am 4. Juli um 10:11 Uhr irgendwo ausserhalb von Amsterdam, also waren sie unterwegs. 

…endlich ein Zeichen!

Ich war ziemlich nervös und hab im Halbstundentakt die Lage gecheckt. Meist war ich zufrieden, mit dem was ich gesehen hab. Ausser, das Signal wurde nicht pünktlich übertragen. Mein erster Gedanke: Hoffentlich ist das Schiff nicht gesunken! Ich hab dann schnell begriffen, dass das Satellitensignal auch mal Verspätung haben konnte und war dann etwas beruhigter. Aus den Punkten wurde langsam eine Kette.

…irgendwo vor der holländischen Küste

Am Montag ging es für mich erstmal wieder in die Arbeit. Die Zeit verging wie im Flug, ich hatte etliche E-Mails im Postfach, einige Sitzungen, eine Infoveranstaltung und einen Kurs zu besuchen – und Ratz-Fatz war Freitag. Und das beste, für Freitagnachmittag hatte sich Besuch aus Bayern angesagt. Mit meiner Schwester Sigi verbrachte ich nach sehr langer Zeit mal wieder ein richtig tolles Wochenende. Wir haben viel geratscht, fein gegessen (ich sag nur Trüffelrisotto 🤤) und die gemeinsame Zeit genossen. Und wie es der Zufall will, war in Nänikon Chilbi – auf der es dieses Mal Autoscooter, Kinderkarussell, einen Freefall (!) sowie zig Marktstände gab, an denen es vom Apfelkuchen bis zur Zuckerwatte alles fürs leibliche Wohl gab und natürlich auch allerlei Selbstgebasteltes feilgeboten wurde. Wir konnten abends eine gemütliche  Chilbirunde drehen, bevor ein aufziehendes Gewitter mit starkem Wind dem bunten Treiben ein jähes Ende bereitete. Zu diesem Zeitpunkt sassen wir beide bereits wieder auf der heimischen Terrasse und beäugten das Naturspektakel bei einem Aperolspritz.

Langeweile hatte keine Chance, denn wir wollten uns auch an die Bernina setzen und einen Sommerrock für mich nähen. Pinterest sei Dank, denn hier wurden wir doch tatsächlich fündig für eine Nähvorlage eines  Ratz-Fatz-Rocks. Beim ersten Rock hat das auch super geklappt und er war im Handumdrehen fertig. Beim zweiten dauerte es schon etwas länger, weil wir die Modifikation „das könnte ja noch gut aussehen, wenn wir einen Schlitz reinmachen“ eingebaut hatten. Ausgeartet ist es schliesslich, als ich in der Stoffkiste noch ein grosses Stück Stoff fand, aus dem Sigi ein Sommerkleid zaubern konnte. Das hat dann doch bisschen länger gedauert und damit dem Ratz-Fatz-Gedanken den Garaus bereitet. Spass hatten wir trotzdem ungemein.

Rock, Rock, Kleid – bamm – Ratz-Fatz-Nähspass / Selfie am Greifensee

RARE BREED hatte zwischenzeitlich den Englischen Kanal, Dunkerque, Dieppe und Cherbourg passiert und war in l‘Aber Wrac‘h in der Nähe von Brest in der Bretagne angekommen. Grossartig, dass Jan und Cynthia es so pünktlich dahin geschafft haben!

Hier begann eine neue arbeitsreiche Woche. Die Abende füllten sich mit Telefonaten mit meinem „Bru“ Thomas in Berlin oder Treffen mit Kolleginnen persönlich vor Ort – das „Schnacken“ durfte in dieser Zeit nicht zu kurz kommen.

Mit Denise und Nicole im Cucina und mit Rachel im Bababobo

Und am Samstag hiess es, auf nach Lottstetten und Päckchen abholen. Jan hatte diverse Ersatzteile für RARE BREED, ein Schaltpanel für USB, diverse Umlenkrollen, ein Seil und ein Thermometer für unseren Omnia bestellt und ich Ersatzbänder für unsere Beschriftungsmaschine.

Abends war ich bei Jan‘s Mama zum Essen eingeladen und Ratz-Fatz neigte sich auch die zweite Woche dem Ende zu.

Die dritte Woche war die Woche der Kündigungen. Jan und ich waren uns einig und dieses Mal auch wirklich sicher, jetzt ist der richtige Zeitpunkt und wir ziehen Ende Oktober aufs Boot um. So habe ich Montagmorgen meinen Job gekündigt, am Dienstag unsere Wohnung und am Mittwoch den  Tiefgaragenstellplatz. Jetzt ist es definitiv und es fühlt sich gut und richtig an. 

Ich habe seither oft gehört, ich sei mutig (… verrückt sei ich sowieso – danke Heinz 😂). Klar, ich verlasse meine Komfortzone – gebe meinen tollen Job auf, kündige unsere schöne Wohnung, hab vor, ein in jeder Hinsicht sicheres Land zu verlassen und lasse meine Familie und Freunde zurück. Das spiegelt das tränende Auge wieder. Aber das lachende Auge freut sich auf die Freiheit, jeden Tag ein bisschen mehr von unserer schönen Welt zu sehen. Weitestgehend autark unterwegs zu sein auf unserem kleinen schwimmenden Zuhause. Den grössten Swimmingpool der Welt vor der Tür zu haben. Delfine als Begleiter zu erleben. Vom Wind übers Wasser getragen zu werden, auch wenn die Haare davon zauslig sind. Mit Salz auf der Haut und Sand zwischen den Zehen – einfach so – Ratz-Fatz.

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Bastelwoche in l’Aber Wrac’h

Bastelwoche in l’Aber Wrac’h

17.07.-24.07.2021

Kaum war ich wieder alleine an Bord war es vorbei mit Ferien und Sightseeing und ich habe stattdessen RARE BREED vom Segelboot zur Baustelle verwandelt. Es scheint so, wie wenn jede Segelwoche soundsoviele Wartungstage gegenüberstehen. Der „Segel-zu-Bastel-Faktor“ ist mir noch nicht klar, aber ist wohl ungünstiger als man wahrhaben will… Und weil alles gut verstaut ist, entsteht innert kürzester Zeit ein unvorstellbares Chaos an Bord, wenn man Werkzeuge und Ersatzteile hervorkramen muss.

Chaos im Salon. Mangels Werkbank müssen die Werkzeuge auf dem Salonboden ausgebreitet werden…

Es hatte sich in den letzten Wochen so einiges an To-Do’s auf meiner Liste angesammelt. Dazu kamen natürlich auch die Sachen, die ich schon lange im Kopf hatte, aber für die es bis jetzt noch nicht gereicht hatte – allem voran unsere Heckplattform. Als der Geräteträger am Heck für die Sonnenzellen gebaut wurde, musste er untenherum mit einem Rohrgerüst stabilisiert werden. Es hat sich angeboten, dieses Gerüst so zu machen, dass man später eine Art Plattform draufmachen konnte. Dieses „später“ war jetzt gekommen. Die Idee war, eine möglichst leichte, aber trotzdem stabile Konstruktion zu erstellen, damit wir bei schönem Wetter dort hinten – quasi unter dem Sternenhimmel – auch schlafen konnten.

Boot oder Schreinerei?

Mit nur ein paar Tagen Zeit zur Verfügung ging ich davon aus, dass der erste Wurf noch nicht das Gelbe vom Ei werden würde und dass es später mit richtigen Schaum- oder Honey-Comb-Platten nochmals gemacht werden wird. Also habe ich (noch als Cynthia dabei war) im Baumarkt grosse 10 mm dünne Sperrholzplatten besorgt. Das Beladen des kleinen Miet-Peugeots mit 3 Platten von 220 cm Länge war eine Sache für sich. Mangels Dachträger mussten die Cockpitkissen herhalten und verspannt wurde das ganze, indem wir die Spanngurte durch die Türöffnungen zogen und so die ganze Ladung „um’s Dach herum“ sicherten. Cynthia hatte schon im Vorfeld ihre Bedenken geäussert und sich geweigert das Auto so zu fahren. Also bin ich gefahren und langsam und gemütlich kamen wir heil am Ziel an. Ich denke aber, dass die Franzosen solchen Fuhren eher gelassen gegenüberstehen und es hat uns niemand gestoppt oder komisch geschaut.

Sitzpolster statt Dachträger tut’s auch 🙂

Da diese Platten zwar leicht, aber nicht genügend stabil waren, habe ich mir eine Art „hängende“ Konstruktion, welche mit einem Aluprofil und dünnen Seilen nach oben an den Geräteträger versteift werden soll, ausgedacht. Den grössten Teil der Arbeit konnte ich alleine bewältigen, aber wie so oft liegt die Tücke im Detail und zum Glück hat ein befreundeter Segler, Gottfried von der Schweizer Yacht MOANA, mir dabei geholfen, das Aluprofil und die letzten Schrauben von unten an das Holz zu schrauben. Alleine wäre es schlichtweg unmöglich gewesen. Der arme Gottfried musste dafür unter der Plattform auf dem Rücken liegend im Beiboot arbeiten. An sich nicht so schlimm, wenn das Beiboot nicht dicht unter der Plattform in seinen Halterungen (Davits) hängen würde. Er musste sich also zuerst dort reinrobben und dann über Kopf arbeiten. Dass es einer der wenigen wirklich heissen Tage in l‘Aber Wrac’h war, hat es auch nicht einfacher gemacht. Was zuerst wie eine kurze Sache ausschaute, hat uns dann doch geschlagene 3 Stunden beschäftigt. Gottfrieds lakonischer Kommentar: „Ich konnte wenigstens im Schatten arbeiten!“

Das „Fundament“ bzw. Stabilsierungsgerüst vom Geräteträger, wo die Plattform montiert werden soll.
Es wird gesägt, geschliffen und gebohrt, dass ich mich langsam gewundert habe, dass niemand von der Marina reklamiert hat…
Zum Thema: „Aus Erfahrung wird man klug…“ oder die „Anti-„Plopp!“-Werkzeugsicherung… Also wenn jemand zufällig einen 8er-Ringgabelschlüssel zu viel hat, ich hätte Interesse….
Die temporäre Aufhängung zur Stabilisiserung ist angebracht. Jetzt kann man auch drauf stehen. Positiver Nebeneffekt der Plattform: Das Beiboot hängt zukünftig im Schatten, was seiner Lebensdauer in den Tropen sehr zutäglich sein wird. Das starke Sonnenlicht frisst sich regelrecht durch die Gummihülle.
Erste Farbschicht drauf und die Alukiste montiert
Handläufe mit angeklebter Holzplatte als Sicherung und Verstärkung montieren
Nachtansicht mit den „Begrenzungsleuchten“. Der Gag musste sein 🙂

Daneben gab es natürlich diverses anderes zu machen, um RARE BREED für den nächsten geplanten Schlag über die Biskaya und runter zu den Kanaren fit zu machen. Dies war das erste Mal, wo wir mehrere Tage weit weg von Land segeln würden – ausserhalb Mobilfunkabdeckung und weit weg von Schutzhäfen. Das heisst, ich musste endlich die Wettervorhersagen auch über das Satellitengerät reinholen können und die „Grab-Bags“ (wasserdichte Taschen mit Lebensmitteln und anderen Überlebensutensilien, die wir im Ernstfall mit in die Rettungsinsel nehmen würden) einrichten und Reservewasserkanister sicher aber greifbar unterbringen.

Zwei Fenster hatten kleine Lecks entwickelt, die abgedichtet werden sollten, alle Splinte und Sicherungsringe am Rigg und an der Reling (das Geländer ums Schiff) mussten überprüft und mit Tape abgeklebt werden. Dann waren noch der kleine Benzingenerator und die Notlenzpumpe, die in Betrieb genommen werden sollten usw. usw.

Die Notlenzpumpe geht ganz schön ab – 10’000 Liter/Stunde Förderleistung sollte auch mit etwas grösseren Lecks klar kommen
Und alles zusammen griffbereit in der Alukiste auf der Plattform versorgt

Und nicht zuletzt das ganze Boot putzen und die gesamte Bettwäsche und angesammelte Schmutzwäsche der letzten Wochen waschen und die Frischwarenvorräte aufstocken. Kurzum – ich war locker die ganze Woche beschäftigt. (Nennt man das nicht Ferien…?)

Waschtag
Neue Halterung für den kleinen Cockpittisch
Und wieder einkaufen und alles an Bord so versorgen, dass sich die Frischware lange hält

L’Aber Wrac’h hatte, wie alle Häfen hier in der Bretagne, auch einen erheblichen Tidenhub von ca. 5 m. Um auf den Schwimmsteg zu kommen, muss man ca. 50 m lange Fussrampen benutzen, die bei Hochwasser mehr oder weniger waagerecht zum Steg führen und sich bei Tiefwasser steil nach unten neigen. Um Gepäck oder Einkäufe den langen Weg vom Parkplatz zum Schiff zu transportieren gab es grosse Schubkarren, die locker den Inhalt eines kompletten Kofferraums schluckten. Logisch, dass wir auch so einen Karren verwendeten, um unsere Einkäufe zum Boot zu bringen, und logischerweise war es ausgerechnet dann Tiefwasser…

Der Hafen in l’Aber Wrac’h bei Tiefwasser
Die Rampe zum Steg: Bei Hoch- und bei Tiefwasser…

Was auf ebener Strecke problemlos zu meistern war, erwies sich auf der steilen Rampe als schlichtweg unhaltbar. Oben auf der Rampe stehend dachte ich noch, dass der Wagen ziemlich schieben würde, aber was dann kam hat meine Befürchtungen um einiges übertroffen. Ich hatte keine Chance die Fuhre zu halten. Nur indem ich den Wagen ins Geländer der Fussrampe reinfahren liess und mich zusätzlich dagegen verkeilte, konnte ich in letzter Sekunde verhindern, dass unsere gesamten Einkäufe 5 Meter ins Hafenbecken runter gefallen sind. Schritt um Schritt und mit tatkräftiger Bremshilfe durch Gottfried kamen wir schliesslich nassgeschwitzt, aber heil unten an. Eine Chartercrew hatte das ganze Manöver beobachtet und ihr ursprüngliches Vorhaben, ihre Reisetaschen mit so einem Schubkarren zum Auto zu bringen schnell verworfen und alle Taschen einzeln hoch geschleppt. Naja, es steht jeden Tag ein Depp auf, von dem man lernen kann… 

Und da der Plan war sofort abzulegen, wenn Biggi wieder kam und es dieses Mal mindestens 3, wenn nicht noch mehr Seetage geben würde, habe ich am Samstag vorgekocht.

Chickencurry und Chilli con Carne 🙂

Kurz nach RARE BREED kam auch die MOANA aus Roscoff nach l‘Aber Wrac’h und die Freude war gross Gottfried und Sandra, die Biggi und ich in Amsterdam kennengelernt hatten, wiederzusehen. Da wir ein Mietauto für die ganze Woche gemietet hatten, konnten die beiden natürlich auch ihre Besorgungen damit erledigen. Teilweise waren wir auch miteinander damit unterwegs. Gottfried hatte sich wenige Tage vorher einen kleinen Metallsplitter im Finger eingefangen und beim Rausnehmen hat sich der Finger entzündet. Dies wurde schnell schlimmer und immer schmerzhafter. So suchten wir gemeinsam nach einem Arzt und da mein Französisch einen Tick besser als das von Gottfried war, habe ich den Dolmetscher gemacht. Nachdem die lokale Ärztin den Finger angeschaut hatte, war ihr Entscheid eindeutig – da müsse so schnell wie möglich geröntgt werden um zu sehen, ob noch etwas im Finger drin sei. Das hat uns zur abendlichen Odyssee durch den Notfall im Brest geführt. Als wir nach dem Röntgen (es war kein Metall mehr im Finger) – Stunden später – endlich in den Untersuchungsraum reinkamen, lagen da schon das Skalpell und Verbandsmaterial bereit. Gottfrieds (und auch meine) Erleichterung war gross, als es dann aber hiess, dass er nur eine starke Antibiotikakur und Schmerzmittel brauche. Die Vorstellung, dass an der Hand rumgeschnibbelt wird, ist alles andere als erfreulich, zu gross ist das Risiko später mit den Folgen von eventuellen Fehlern leben zu müssen. 

Mit Gottfried in der Notfallaufnahme in Brest

Gottfrieds Erleichterung und Dankbarkeit mich als Dolmetscher dabei zu haben kannte keine Grenzen, und so wurde ich am Abend danach zur Grillparty auf der MOANA eingeladen. Jetzt muss man wissen, dass die MOANA ein sehr grosses und perfekt ausgestattetes Boot ist. Sie hatten bei der Bestellung alle Optionen einbauen lassen – insbesondere auch einen fest installierten Grilltisch auf der ausklappbaren Heckplattform. Und zwar keinen 08-15-Grill, sondern einen regelrechten Profigrill mit allem drum und dran. Dahinter stand nun Gottfried in seiner Schürze mit dem Spruch „Küchen-Kapitän“ und hat gegrillt, dass es jedem Argentinier Freudentränen in die Augen getrieben hätte. Die Leute, die am Steg an uns vorbeigelaufen sind, haben alle gestaunt und der Hund vom Nachbarn konnte nur mit Mühe und Not daran gehindert werden, wegen dem unwiderstehlichen Grillduft bei uns an Bord zu springen.

Der Küchen Kapitän in Action
… und der zufriedene Bewirtete im bequemen Cockpit der MOANA

Und mit einigen Besuchen zu dem urigen Hafenrestaurant, wo es Austern und Muscheln aus eigener Zucht gab, haben wir einige vergnügliche Abende zusammen verbracht. Die MOANA Crew hat sich rührend um mich als temporären „Einhandsegler“ gekümmert.

Dies ist einer der Aspekte, die ich an diesem Leben so liebe: Man lernt innert kürzester Zeit Leute kennen, die man im normalen Leben vermutlich nie getroffen hätte. Und weil alle wortwörtlich im gleichen Boot sitzen (Gottfried und Sandra mussten dringen Ersatzteile für ihr WC haben…) hat man sofort Anknüpfungspunkte und gemeinsame Interessen, auch wenn man womöglich aus einem ganz unterschiedlichem sozialem Umfeld stammt. Man verbringt in kurzer Zeit sehr viel Zeit miteinander, erlebt Sachen zusammen, lernt voneinander und hilft sich gegenseitig, wenn Not am Mann ist. So entsteht sehr schnell eine Vertrautheit, für die es zuhause oft Jahre gebraucht hätte. Umso trauriger ist es dann, wenn sich die Wege wieder trennen, aber ein Wiedersehen irgendwo auf der Welt wird es sicher geben.

Gottfried und Sandra von der MOANA

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Englischer Kanal – Gewitter, Strömungen & Delfine

Englischer Kanal – Gewitter, Strömungen & Delfine

Am Samstag, 3. Juli 2021 habe ich Biggi zum Amsterdamer Flughafen begleitet und weniger als eine Stunde nachdem sie hinter der Gepäckkontrolle verschwunden war kam Cynthia an. Optimales Timing! Wobei es natürlich schön gewesen wäre, wenn wir noch zu dritt hätten zusammensitzen können. Stattdessen bin ich mit Cynthia sofort zum Zug los. Biggi und ich hatten zwei Hin- & Rück-Fahrkarten gekauft, und so konnte Cynthia Biggi’s Rückfahrkarte direkt nutzen. Praktischerweise stand schon ein Zug nach „Amsterdam Z.“ am Gleis. Nix wie rein, denn das bedeutete sicherlich Zentral… Von wegen! Das hiess Amsterdam Zuid, was wir zum Glück erfuhren, als wir sicherheitshalber im Zug nachfragten – nichts wie raus bevor er abfährt! Centraal schreibt sich mit „C“ und nicht mit „Z“… „Centraal“ stand auf der Anzeigetafel für einen Zug, der in drei Minuten abfahren würde. Rolltreppe hoch und auf der anderen Seite wieder runter gespurtet und schon sassen wir wieder im Zug. Nur so als Sicherheit habe ich wieder einen Passagier gefragt, ob der Zug denn wirklich nach Amsterdam Centraal fahre? Er schaute uns ganz verdutzt an: „Ja, ja, das sei schon der Zug zum „Central“, aber nicht von Amsterdam, sondern von Rotterdam!“ Und wieder sprangen wir nur mit knapper Not aus dem Zug bevor er abgefahren ist… Zu guter Letzt haben wir dann doch den richtigen Zug erwischt – aber wenn das auf unsere mangelnden Navigationsfähigkeiten zurückzuführen war, na dann Prost Mahlzeit für den kommenden Törn…

Ausfahrt in die Nordsee von IJmuiden.

Wir hatten vor, in den kommenden zwei Wochen von Amsterdam bis nach l’Aber Wrac’h in der Bretagne zu kommen. Eine Strecke von ca. 500 Seemeilen durch den Englischen Kanal. Die vorherrschende Windrichtung in diesem Teil der Welt ist Südwest – also genau von dort wo wir hin wollten. Dazu kommt, dass der Englische Kanal das am dichtesten befahrene Gewässer der Welt ist. Das Gebiet ist in Fahrbahnen und Sperrzonen mit klar geregelten Befahrensvorschriften eingeteilt und wird auch per Radar und AIS von den Behörden überwacht. Insbesondere die Meerenge zwischen Dover und Calais hat es in sich, dort verkehren zusätzlich auch noch Schnellfähren, die unseren Kurs kreuzen würden. Und um es noch ein Stückchen komplexer zu machen, gibt es hier alle 6 Stunden wechselnde Gezeitenströme mit bis zu 5 Knoten Geschwindigkeit und einen Tidenhub (Unterschied des Wasserstandes zwischen Hochwasser und Niedrigwasser) von mehreren Metern.

Kurzum – vor diesem Teil der Reise hatte ich gehörigen Respekt und war umso froher, eine kompetente Mitseglerin dabei zu haben. Cynthia ist schon vor Jahren mit mir gesegelt, als wir noch beide im IBM Segelclub waren. Mit mehreren Tausend  Seemeilen Erfahrung wusste ich, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Und sie war – im Gegensatz zu mir – hier schon einmal gesegelt. 

Die Wettervorhersage versprach schwache westliche Winde und deshalb legten wir bereits um 6 Uhr am Sonntagmorgen ab. Von Amsterdam ging es zunächst durch den Kanal nach IJmuiden und dort wurden wir raus in die Nordsee geschleust. Wir wussten nicht, wie schnell wir unterwegs sein würden und hatten uns daher mehrere mögliche Zielhäfen entlang der Holländischen und Belgischen Küste ausgesucht. Es ging aber flott voran und wir entschieden, die Nacht durchzugehen, um möglichst weit zu kommen bevor der Wind am Dienstag wieder zunehmen würde. Zu dem Zeitpunkt wussten wir natürlich nicht, dass die Nacht und vor allem der nächste Morgen zum schlimmsten Törn der bisherigen Reise werden sollte.

Bis kurz vor Mitternacht war noch alles OK, aber dann tauchte in der Ferne ein Windpark auf, der nicht in der Karte verzeichnet war. (Wie ich später erfuhr, war der Windpark noch im Bau und daher noch nicht in der Karte drin.) Er lag genau in unserem Weg und erstreckte sich über eine Breite von geschätzt mehreren Seemeilen. Da er nicht mit roten Leuchten markiert war, wollte ich auf direktem Kurs durch. Gleichzeitig hat sich eine schwarze Regenwand direkt auf uns zu bewegt. Ich hoffte noch, ihr mit dem direkten Kurs durch den Windpark ausweichen zu können, als wir plötzlich über Kanal 16 auf dem Seefunkgerät aufgerufen und informiert wurden, dass wir uns einem Sperrgebiet nähern würden und dort nicht durchfahren dürften (sie hatten uns auf ihrem Radar bzw. AIS gesehen und identifizieren können). Wir mussten wohl oder übel direkt in die Gewitterzelle reinsteuern. Was dann über uns hereingebrochen ist, kann man nur als sintflutartigen Regen begleitet von Blitzen und lauten Donnerschlägen bezeichnen. Ich hatte aus Sicherheitsgründen noch schnell  ein Tablet und ein  GPS-Gerät in den Backofen (Faraday’scher Käfig) gelegt für den Fall, wenn wir von einem Blitz getroffen würden und damit die gesamte Bordelektrik ausfallen würde. Der ganze Spuk hat nur 10 bis 15 Minuten gedauert, aber in der Zeit waren wir völlig blind – man hat wegen des starken Regens schlichtweg nichts mehr gesehen, auch nicht auf dem Radar. Um nirgendwo reinzufahren, habe ich das Boot aufgestoppt und abgewartet. Als der Spuk vorbei war, kam der Wind und mit ihm eine eklig kurze Welle. Die folgenden 12 Stunden liefen wir nur mit 2 bis 3 Knoten, weil wir ständig durch die Wellen aufgestoppt wurden. Am nächsten Tag kamen wir gegen Mittag ziemlich erschöpft in Dunkerque in Frankreich an. Cynthia hat das Ganze mit Humor genommen und gemeint „Wir nehmen das Anlegebier wie James Bond seinen Martini – geschüttelt und nicht gerührt!“

Frankreich ohne Pain au Chocolat geht gar nicht!
Farbenfroher Poller im Hafen von Dunkerque
„La plus belle Plage du Nord“
Alles da, aber niemand will baden….?
Waterfront
Cynthia beim Abendrot einfangen
Sunset in Dunkerque

Wir blieben fast drei Tage in Dunkerque im Hafen. Einerseits, weil wir uns erholen wollten und andererseits, weil der vorhergesagte Starkwind auch wirklich sein Wort gehalten hat.

Als wir durch den Ort gingen, hat es uns manchmal fast vom Wind umgehauen.

So gesehen war es genau die richtige Entscheidung schon am Anfang soviel Distanz wie möglich zurückzulegen. Diese Taktik haben wir auch für den Rest der Reise durchgezogen und sind in einem Tagestörn und zwei weiteren Nachtschlägen über Dieppe und Cherbourg nach l’Aber Wrac’h gesegelt. Wobei gesegelt nicht ganz der richtige Ausdruck ist, denn wegen den mehrheitlich sehr schwachen Winden haben wir fast die ganze Strecke unter Motor gemacht. Aber das habe ich von Anfang an vermutet, denn mit RARE BREED gegenan zu segeln ist wahrlich kein Vergnügen. Die Zeit, auf den Ostwind zu warten hatten wir einfach nicht, dann schon lieber bei schwachem Wind unter Maschine zum Ziel kommen.

Kafi & Müesli en route

Dieppe war ein nettes Städtchen und hatte vor allem einen sehr eindrücklichen Tidenhub von fast 6 Metern. Auch der Markt war riesig und hat sich durch die ganze Altstadt gezogen.

Eindrückliche Unterschiede zwischen Hoch- und Tiefwasser.
Und so sieht es dann in der Realität aus – das ist der gleiche Pfosten!
Eine Rennsemmel in Dieppe. Frankreich das Land der Hochsee-Regattesegler.
A Place with a View…
the View über Dieppes Waterfront
Am Ende des Weges…
Cooler Käfer – Tiefer geht nimmer 🙂

Der Nachtschlag von Dieppe nach Cherbourg war ein Traum! Die See war spiegelblank, der Sonnenuntergang in den schönsten Farben und als uns danach auch noch Delfine für ein paar Minuten begleitet haben, war es schon fast wie in einem kitschigen Film. Wegen den Strömen liefen wir manchmal mit 10 Knoten über Grund, aber später dafür nur mit 3 bis 4 Knoten.

Bei Flaute ist jeder ein guter Skipper 😉

Um nicht mitten in der Nacht in Cherbourg anzukommen, haben wir schon früh angefangen „zu bremsen“. Jedoch war der mitlaufende Strom so stark, dass wir auch so viel zu schnell waren.  Die letzten Stunden vor Sonnenaufgang steuerten wir nach SSE (160°), aber über Grund ging es nach WNW (280°). Die Strömungen hier sind schon extrem eindrücklich.

Kompasskurs 190° (SSW). Kurs über Grund WSW…

Cherbourg hat uns eigentlich gar nicht gefallen. Ein riesiger Hafen und eine Stadt, die wenig Liebliches an sich hatte. Dass Sonntag war, hat natürlich dazu beigetragen, dass alles wie ausgestorben war. Also sind wir bei sehr schlechten Sichtverhältnissen am nächsten Vormittag mit ablaufendem Wasser ausgelaufen. So lief der Strom mit und hat uns regelrecht ums Cap de Hague rumgespült. Weil es so gut lief, haben wir spontan den Weg zwischen Alderney und Guernsey genommen, ein Gebiet, welches für seine starken Strömungen bekannt ist. Die hatten wir! Mit 7 Knoten mitlaufendem Strom wird der schwache Wind  natürlich stärker und so konnten wir sogar mit 10 Knoten segeln. Das heisst, wir sind eigentlich nur mit 3 Knoten durchs Wasser gesegelt, aber über Grund wurden es mit dem Strom 10 Knoten. Bei solch starken Gezeitenströmen entsteht eine sehr aufgewühlte See, sog. „Races“. Bei Wind von 5 Beaufort (frische Brise mit 29 bis 38 km/h) oder mehr wird es regelrecht gefährlich. Bei den schwachen Winden die wir hatten, war es nur eindrücklich, wie das Wasser gekocht hat und sich plötzlich Wirbel gebildet haben die spürbar am Boot zerrten.

Kochen unterwegs

Später in der Nacht sind wir über die Untiefe „Banc des Langoustiers“ gefahren. Vom Tiefgang her absolut kein Problem, aber die Untiefe hatte ihren Namen wohl nicht umsonst, denn es wimmelte nur so von Fischerbooten, die andauernd ihren Kurs änderten. Cynthias Nachtwache artete regelrecht in Stress aus und glich einem Katz- und Mausspiel.

Am nächsten Vormittag liefen wir – mit kräftigem quersetzendem Strom in die Einfahrt von l’Aber Wrac’h. Die Wellen haben sich an den Untiefen rechts und links von der Zufahrt gebrochen und wir haben uns peinlichst genau an das schmale und verwinkelte betonnte Fahrwasser gehalten. Ein Motorausfall wäre in der Situation sehr schnell sehr unangenehm geworden. Das sind Momente, in denen ich um die beiden Maschinen auf RARE BREED sehr froh bin.

Nach nur 9 Tagen und 511 Seemeilen zurückgelegter Distanz waren wir am Ziel des Törns angelangt. Es waren anstrengende, aber auch schöne Tage und Nächte gewesen. Wir waren beide stolz und glücklich, dass alles doch so gut gelaufen ist. Der Englische Kanal war bezwungen! Cynthia war eine sehr gute Crew und wir haben uns wirklich gut verstanden. Dass Cynthia ihr selbst gestecktes Ziel „Kein Törn ohne wenigstens einmal Baden“ nicht erreicht hat,  lösen wir, indem sie auf jeden Fall nochmals mitsegeln wird – und das Mal hoffentlich ohne Zeitdruck und bei besseren Wetter- und Windverhältnissen – z. B. in der Karibik 😉

511 Seemailen durch den Ärmelkanal in neun Tagen.

Die verbliebenen Tage von Cynthias Urlaub verbrachten wir mit einer Kombination aus Besorgungen erledigen und Ausflüge machen. Da l’Aber Wrac’h so ein kleines Örtchen ist, wo es nicht mal einen richtigen Lebensmittelladen gibt, war schnell klar, dass ein Mietauto her musste. Das bekamen wir von einem örtlichen Garagisten und es war die unkomplizierteste Automiete, die ich je erlebt habe. Bezahlung Bar auf die Hand. Handyfoto vom Fahrausweis und keinerlei Kreditkarten oder sonstige Identifikationsdaten nötig. Und das Auto könne ich statt wie bezahlt bis Sonntag-, auch erst am Montagabend hinstellen – sie hätten am Montag nämlich zu.

Mit dem Auto sind wir nach Brest und haben die kaputte Scheibe im Sprayhood (Verdeck) vom Segelmacher nachnähen lassen. Als ich deren riesige Halle gesehen habe, habe ich sie spontan gefragt, ob sie mir helfen würden, den Spinnacker in den Bergeschlauch einzufädeln, was sie gerne gemacht haben.

Auf dem Rückweg haben wir in einem riesigen Baumarkt Holz und anderes Material besorgt, welches ich für den Bau einer „Badeplattform“ unter dem Geräteträger für die Sonnenzellen verwenden wollte.

Daneben hat es noch für einen Ausflug zu einem Leuchtturm inkl. Wattwanderung und für einen Besuch im Oceanopolis in Brest gereicht, bevor ich Cynthia zum Flughafen gebracht habe.

Austernzuchtanlagen
Bretagne und Crepes – das muss auch sein!

Die To Do Liste für die Woche, die ich in l’Aber Wrac’h alleine verbringen sollte bis Biggi wieder kommt, war lang, sehr lang… RARE BREED würde sich für eine Woche wieder in eine Baustelle verwandeln.

Gastbeitrag von Cynthia:

«…und nach der Reise wurden sie getrennt voneinander befragt»…Nach diesem Motto Cynthia’s Bericht der Reise von Amsterdam nach L’Aber Wrac’h.

Es gibt gemütlichere Optionen, seine Sommerferien zu verbringen, als an Bord eines Katamarans auf der Reise von Amsterdam in die Bretagne. Ich bin mehrmals gefragt worden, warum ich mir das antue. Am Ende dann eine Aussage dazu. Aber wie kam es überhaupt dazu? Im Frühling habe ich Jan spontan angeboten, «mal mitzusegeln, falls er eine Hand brauche». Kurz darauf hat er sich tatsächlich gemeldet, und nachdem klar ist, dass An- und Rückreise quarantänefrei möglich ist, und ich im Juli auch freinehmen kann, steht dem nichts im Wege. Aber ich muss schon zugeben: so ganz genau habe ich nicht gewusst, worauf ich mich einlasse: mehr als 500 Meilen, mehrheitlich mit Wind auf die Nase (bei einem Kat gibt es gemütlicheres), viel Fähr- und Frachtverkehr, Nachtschläge… und nur zu zweit an Bord. Aber: Augen zu und durch!

Jan und ich treffen uns am Flughafen in Amsterdam. Biggi hat kurz vorher die Heimreise angetreten. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Dass «Amsterdam-Z» nicht für Amsterdam Centraal steht und nicht jeder Zug mit der Station «Centraal» in der Destination auch nach Amsterdam-Centraal fährt, finden wir dann auch heraus und schaffen wir es doch noch in den Hafen. Hoffentlich sind die Navikenntnisse auf See besser! Bereits am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe heisst es: «Leinen los». Wasser bunkern und ab in Richtung Westen. Die Schleuse in IJmuiden ist problemlos. Ich denke, um mehr als 30 Zentimeter werden wir nicht angehoben. Und dann sind wir im Ärmelkanal. Der Tag ist gemütlich, ich lerne Rare Breed etwas kennen und wir bereiten uns auf den ersten Nachtschlag vor. In Dreistundenschichten werden wir durch die Nacht motoren. Zum Glück ist um diese Jahreszeit und so weit im Norden die völlige Dunkelheit nicht lang. Ich bin dankbar für das AIS an Bord. Dank diesem Gerät können wir viel früher orten, woher ein Schiff kommt, welchen Kurs es fährt und ob wir allenfalls auf Kollisionskurs sind. Ich stelle nämlich fest: mit den Wellen und dem Fernglas in der Nacht die Positionslichter eines Schiffes wirklich bestimmen zu können, ist eine Herausforderung. Und Lichter sind viele zu sehen! Die Windparks sind beleuchtet und blinken rot und weiss, wie an einer Chilbi. Dazu gilt, dass wir uns in einem stark befahrenen Gebiet bewegen und uns ans Fahrwasser und an die Betonnung halten müssen. Immer wieder stecke ich den Kopf kurz aus dem Windschatten des Cockpits, um einen Blick nach vorne zu werfen und die nächste Tonne reell und nicht nur auf dem iPad zu suchen. Das Problem ist: mit dem Wind und der Gischt ist meine Brille im Nu salzverkrustet, was das Sehen nicht erleichtert. Um zwei Uhr nachts ist meine Schicht vorbei und ich lege mich für drei Stunden in die Koje. Das aufziehende Gewitter, und dass Jan über Funk aufgefordert wird, den Kurs wegen eines Windparks zu ändern, bekomme ich nur halbwegs mit. Ab fünf bin ich dann wieder an Deck, aber es wird schon dämmerig, und die anderen Schiffe sind wieder mehr als Positionslichter am Horizont. Gegen Mittag laufen wir in Dünkirchen ein. Bienvenue in «Froonkreisch»!

Drei Nächte bleiben wir in Dünkirchen, und lassen den heftigen Wind (mit Böen von über 30 Knoten im geschützten Hafen!) vorbeiziehen. Wir absolvieren ein kleines Touristenprogramm. Das Museum zur Operation Dynamo der Alliierten im 2. Weltkrieg ist spannend, der Spaziergang der kilometerlangen Promenade entlang tut gut. Der Wind schiebt uns rasant, und auf dem Rückweg kämpfen wir entsprechend gegen an und müssen aufpassen, dass wir vom Sand nicht paniert werden. Komischerweise ist aber niemand am Baden, obwohl der Strand eigentlich hübsch wäre. Alle sitzen im Restaurant und essen Moules et Frites. Wir dann auch.

Touristenprogramm in Dünkirchen

Wir verlassen die «Sch’tis» und machen uns weiter auf den Weg in Richtung Süden. Vorbei an Calais, durch viele Bojenfelder mit geankerten Riesenpötten. Kurzfristig können wir dann endlich auch einmal segeln. Aber leider ist das Vergnügen von kurzer Dauer. Trotzdem ist es entspannend, unterwegs zu sein, dem Funk auf Kanal 16 zuzuhören (besonders gefällt mir das British-English der Küstenwache von Dover) und auch die Küste der Normandie anzuschauen. Gegen Abend laufen wir in Dieppe ein. Die hübsche Altstadt sehen wir im ersten Moment allerdings gar nicht. Das Hafenbecken liegt etwa 10 Meter tiefer – nur die Mastspitzen schauen daraus hervor. Das ändert sich bei Hochwasser. Plötzlich sind wir auf Promenadenhöhe – 6.5 Meter höher. Ich bin froh, in der heutigen Zeit zu segeln: Die ganzen Gezeiten- und Stromberechnungen ohne Navionics würden mich überfordern. Sehr hilfreich ist es auch, ständig ein Handy dabei zu haben. Wir fotografieren jeweils die Zugangscodes für den Steg und die Sanitäranlagen. Vor allem in Dieppe ist das eine hervorragende Idee: drei verschiedene Codes mit je 6 Ziffern und einem Buchstaben müssten wir uns sonst merken. Und in jedem Hafen beginnt das Spiel von vorne…

: Tidenhub in Dieppe – das ist zweimal der gleiche Poller!

Nach zwei Tagen geht es weiter. Das Meer ist spiegelglatt. Ich sitze an Deck und schaue hinaus ins «grand-rien d’eau». Das Meer ist faszinierend, je nach Lichteinfall sieht es immer wieder anders aus. Rundherum ist stellenweise nichts als Himmel und Wasser zu sehen. Gelegentlich ein anderes Schiff, aber nachdem wir engste Stelle hinter uns gelassen haben, ist der Berufsverkehr hier nicht mehr prominent. Es sind Momente wie diese, welche mich immer wieder aufs Meer ziehen. Ein bisschen Wind zum Segeln wäre jetzt aber doch schön. Ohne Gerumpel «überfahren» wir um halb sechs dann den Nullmeridian. Ich passe den genauen Moment ab, damit ich den Sprung in der Anzeige von der östlichen in die westliche Hemisphäre dokumentieren kann. Geschafft! 

Stimmungsbilder des Meeres

Der Sonnenuntergang wird kitschig – unglaublich kitschig. Nur ganz wenige Wollen am Himmel, die Sonne versinkt blutrot im Meer und färbt die Wolken ein. Das Meer ist weiterhin spiegelglatt. Wir kommen kaum nach mit dem Fotografieren! Die Nacht ist ebenso traumhaft – der Sternenhimmel blinkt und glitzert. Hin und wieder gehört allerdings eines der Lichter auch zu einem Schiff. Der Strom schiebt uns kräftig – bei diesem Tempo kommen wir mitten in der Nacht in Cherbourg an, das wollen wir nicht. Wir «ziehen die Bremse an»…Mit dem Morgengrauen laufen wir in Cherbourg ein. Drei Vorhäfen sind zu durchfahren, und nach einem Zwischenstopp an einem Behelfspier bekommen wir am Ende aber doch in prominenter Lage direkt bei der Capitainerie einen Liegeplatz zugeteilt. Ein Stündchen legen wir uns aufs Ohr, und erholen uns. Cherbourg selber hat mich nicht so überzeugt. Vielleicht auch, weil Sonntag ist, und die Läden daher geschlossen sind. Der Hafen aber ist riesig, und gut ausgerüstet, die sanitären Anlagen sind ebenfalls tipp-topp. Und Pain au Chocolat findet man auch am Sonntag in Cherbourg!

Nur eine Nacht bleiben wir in Cherbourg. Nachdem Jan sich stundenlang mit den Unterlagen und Gezeitentabellen beschäftigt, den Revierführer konsultiert hat, und wir ja nun auch handfeste Erfahrungen mit der Strömung im Kanal gemacht haben, ist klar, dass wir dann auslaufen, wenn die Strömung uns hilft. Und das ist am nächsten Tag kurz vor Mittag der Fall, eine Stunde vor Hochwasser. Es ist diesig, Sicht gegen null. Im Laufe des Tages wird der Himmel aber heller, wir können tatsächlich auch segeln und sind nun CO2-neutral unterwegs. Wind und Strömung bringen uns vorwärts, die Sonne liefert die Energie für die Instrumente… Zwischen Alderney und Guernsey düsen wir durch den Kanal, kurz wird es kabbelig, aber das ist nicht weiter tragisch. Schade können wir auf den Kanalinseln nicht anlegen, ich hätte mich gerne dort umgesehen, das war schon immer eine Wunschdestination von mir. Ein langer Schlag liegt vor uns. Nach Möglichkeit wollen wir bis L’Aber Wrac’h durchziehen. Darum wechseln wir auch bald wieder in den Schichtmodus, damit sich immer einer von uns beiden ausruhen kann. Mit Schichtbeginn um 23 Uhr habe ich dann auch meine kleine Krise: es ist ruppig, überall am Horizont, und zwar rundherum (!) sind die Positionsleuchten von Fischern zu sehen. Es ist mir zu rau, um zusätzlich alle paar Minuten an den Navitisch zu gehen und auch noch das AIS zu beobachten, Jan springt hier ein. Wir ändern etwas den Kurs, um diese Langustenbank und ihre vielen Fischer weiträumiger zu umfahren, und das hilft definitiv. Krise vorbei. Es ist schweinekalt. Ferien im Juli, in Faserpelz und Ölzeug, mit Kappe und Halstuch… Aber trotzdem: ich geniesse es. In meiner zweiten Schicht schläft der Wind immer mehr ein, resp. er ändert die Richtung. Ich kann den gewünschten Kurs unter Segel nicht mehr halten. Und jetzt? Jan wecken? Da gibt es zwei Methoden: die sanfte und die harte Tour… Die harte wäre: ich starte den Motor… und ich kann sicher sein, der Skipper steht im Nullkommanichts an Deck. Oder sanfter: ich warne ihn erst… Das ist das was, ich tue. Natürlich könnte ich den Motor auch allein starten, aber eben, in meiner Erfahrung führen solche Manöver ebenso wie auch abrupte Kursänderungen unter Segel im Normalfall dazu, dass ein Skipper sofort wach und an Deck ist. Die Strömung ist nun klar gegen uns. Noch mit knapp 2 Knoten über Grund sind wir unterwegs. Die Wellen werden höher. Ist das bereits die berühmte Atlantikdünung? Ich denke schon. Die Wellen sind auf jeden Fall sehr lang. Je heller der Morgen wird, und je näher wir ans Ziel kommen, umso mehr Segelschiffe poppen plötzlich auf. Jetzt heisst es wieder richtig aufpassen. Wir sind unter Motor unterwegs, sie haben also Vorfahrt – um kaum je AIS. Mit den hohen Wellen sind auch Segler nicht immer sehr früh zu sehen. Die Einfahrt nach L’Aber Wrac’h übernehme ich. Lustige Name für die Tonnen haben sie hier: Le Grand Pot de Beurre ist nur einer davon… Nach 511 Meilen haben wir das Ziel erreicht. Ohne Zwischenfälle, ohne Blessuren, und ahead of time. Nun können wir uns noch etwas entspannen. Entspannt ist auch die Automiete. So problemlos habe ich das noch nie erlebt. Ein Foto von Jan’s Ausweis, etwas Cash übergeben, und der Peugeot «mit den blauen Ohren» gehört uns – geliefert bis zur Capitainerie. Sehr hilfreich ist das Navi. Die in bretonisch und französisch angeschriebenen Strassenschilder sind zahlreich, die Wege, Ein- und Ausfahrten aber ebenfalls. Ich war schon mehrmals in der Bretagne – und immer noch habe ich das Gefühl, Obelix mit seinem Hinkelstein auf dem Rücken kommt uns demnächst entgegen. Die Hortensien blühen traumhaft in allen Farben, ganze Alleen voll. Ein sensationeller Anblick! Vom «Quatorze Juillet» bekommen wir nicht viel mit. Vielleicht sind etwas mehr Leute als sonst am Crêpes essen, aber sonst? Das Wetter ist mittlerweile fantastisch, heiss und sonnig. Ich fange mir doch tatsächlich einen kleinen Sonnenbrand ein. Jan nutzt die Gelegenheit, ein Auto zur Verfügung zu haben, und wir klappern in diesen Tagen Handwerkerladen und Segelmacher ab. Etwas Moules et Frites dürfen auch nicht fehlen, und der Besuch im Oceanopolis in Brest gehört zum Programm.

: Impressionen aus der Bretagne

Als Abschluss ein unterhaltsames Nachtessen, zusammen mit Sandra und Gottfried von der Moana, und am Samstag in aller Frühe muss ich los zum Flughafen. Die zwei Wochen sind schnell vorbei. Ich beneide Jan und Biggi um die Erfahrungen und Eindrücke, welche sie nun sammeln dürfen. Die Zeit auf der Rare Breed war körperlich anstrengend, mit den drei Nachtschlägen und der Wache jeweils für drei Stunden ganz allein an Deck. Aber: mental war die Reise erholsam. Warum tue ich mir dies an? Ich hätte zwei Wochen Ferien auch stressfreier verbringen können, aber ich finde, das Wort «stressfrei» ist relativ. Die Art, auf einem Segelschiff unterwegs zu sein, ist unschlagbar. Die Welt zieht im Schritttempo vorbei, die Seele mag mithalten. Das Schaukeln wiegt mich in den Schlaf, und frische Luft den ganzen Tag ist unschlagbar. Frisurentechnisch nicht ideal, das gebe ich zu…Am Ende eines Schlages warten neue Destinationen auf Entdeckung. Ich freue mich, dass ich Jan auf dieser Strecke habe begleiten können. Wir haben uns gut verstanden, unser Schoggi-Geschmack war komplementär, nicht mal das hat zu Problemen geführt! Gerne wieder!

Cynthia 

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