Und täglich grüsst das Murmeltier

Und täglich grüsst das Murmeltier

1. August 2021 – 13. Nachtwache in Folge

Wer mich ein bisschen kennt, der weiss was ich für ein Murmeltier sein kann. Und das geht so: müde, müder, Augen zu und es schläft – immer und überall. Ich kann dagegen ankämpfen, aber selbst wenn ich wollte – ich kann nicht gewinnen. Zuletzt ist mir das passiert, als ich mich mit Katrin in Kiel getroffen habe. Das war im Juni, kurz bevor wir in den NOK (Nord-Ostee-Kanal) eingebogen sind. Wir hatten uns eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen, der Abend war lang und wir hatten uns so viel spannende Geschichten zu erzählen. Doch auf einmal war ich so müde, dass ich – während Katrin sprach 🙄 – einfach kurz eingenickt bin – Sekundenschlaf. Liebe Katrin, ich hoffe, du verzeihst mir, es war wirklich nur ein klitzekleiner Moment 😇.

Katrin und Biggi in Kiel – Holtenau

Also, langer Rede, kurzer Sinn. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das mit mir klappen sollte, wenn ich auf RARE BREED für die Nachtwache eingeteilt bin.

Die erste Wache von 20 bis 23 Uhr war Jan‘s Part, von 23 bis 2 Uhr war ich dran, für die dritte von 2 bis 5 Uhr war wieder Jan zuständig und ich schliesslich von 5 bis 8 Uhr. Da hiess es: wach sein und wach bleiben – schliesslich hatte Jan bzw. ich in dieser Zeit die Verantwortung für Schiff und Besatzung. 

Ok, 23 Uhr bis 2 Uhr morgens. Das war einfach. Schnell mal die Zeit zurückgespult auf 1986 (als ich Anfang 20 war) und das gleiche Prozedere von damals durchgeführt. Um 20 Uhr ins Bett gehen, Wecker stellen, vorschlafen, raus aus den Federn, Wasser ins Gesicht, rein in die lange Unterwäsche und Ölzeugs drüber (früher natürlich duschen, schminken und Ausgehklamotten anziehen). Und dann anstelle in die Disco, ab in den Steuerstand. Statt abzutanzen ging es hier darum, Wetter, Wind und Segelstellung sowie den Schiffsverkehr über das AIS im Auge zu behalten.

1. August 2021 um 00.01 Uhr – Medi Serapo unterwegs mit 14.3 Knoten – geht vor uns durch 😉

Und: Alle 15 Minuten einen Rundumblick zu tätigen, ob nicht irgendwo ein Boot ohne AIS auftaucht. Pünktlich um 2 Uhr kam Jan zur Wachablösung und schickte mich mit einem „Hab eine schöne Freiwache“ zurück in die Koje. Und das liess ich mir nicht zweimal sagen. Raus aus den Klamotten, Wecker stellen, hinlegen und weg war ich. Um 4:45 Uhr grölte die Melodie von Miss Marple aus dem Handy – es war Zeit wieder aufzustehen, damit Jan in seine wohlverdiente Freiwache entschwinden konnte. Das Aufstehen kurz vor 5 ging locker vom Hocker – fast wie zuhause an einem ganz normalen Arbeitstag. Dass hier drei Stunden später schon wieder der Feierabend eingeläutet wurde, kam mir gerade recht. Und täglich grüsst das Murmeltier ging’s wieder ab in die Falle für ein paar Stunden. Ab der 5. Nacht, die Schiffsbegegnungen hatten sich auf 1 bis 0 pro Schicht reduziert, konnten wir sogar zwischen den 15-Minuten-Kontroll-Ausgucken ein kurzes Schläfchen wagen. Auch hier hat Miss Marple dafür gesorgt, dass ich keinen „Guck“ verpennt habe.  Nach einigen Tagen wird auch das zur Routine und ich bin froh, dass bis jetzt alles so gut geklappt hat. 

In den ersten drei Wache-Tagen haben wir ja die berühmt berüchtigte Biscaya überquert (ihr kennt das Gebiet bestimmt vom Wetterbericht: Das Tief, dass über die Biscaya zieht. … Biscaya, mit dem Titel gibt es übrigens auch ein tolles Lied von James Last).  Anyway, da war’s auf jeden Fall nachts wirklich frisch und warme, winddichte Kleider, dicke Socken und Schuhe dringend erforderlich. 

Je weiter südlich wir kamen, mit der Nortada (portugiesisch für Nordwind, der zwischen Juni und September vorherrschende Wind in diesem Gebiet) im Rücken, konnten wir nach und nach erst das Ölzeugs an den Haken hängen, dann die lange Jacke und schliesslich Schuhe und Socken weglassen. 

Ich habe den Atlantik in den letzten sieben Nächten in allen möglichen Facetten erleben dürfen. Mit kaltem Wind und viel Welle, welche furchteinflössend wie Beton von unten gegen das Boot krachten, mit Mondaufgängen in blutorange, mit wilder See und brechenden Wellen (für mich als Segelneuling zumindest), bis hin zu windstill mit fast glatter See, mit Sonnenuntergängen, deren Schönheit sich so spät am Abend bei Wachübernahme nur noch erahnen liess, einer Neumondnacht in denen Millionen von Sternen am Himmel funkelten – einfach nur gewaltig.

Meer – und noch mehr Meer ⛵️

Danke an den Wettergott und alle anderen „dafür Zuständigen“, dass wir die etwa 1000 Nautischen Meilen ohne Störungen zurücklegen konnten.

Ich schreibe das hier während meiner 23-bis-2-Uhr-Nachtwache und wir haben noch ca. 90 Nautische Meilen (ca. 166 km) bis Porto Santo bei Madeira.

Bald haben wir es in die Ankerbucht geschafft ⚓️

Wir laufen mit 6 bis 7 Knoten (nach 5 Tagen mal wieder mit Volvounterstützung von Steuerbord) bei relativ ruhiger See, die Nacht ist bisher sternklar und der Wind und die Luft lauwarm – kurze-Hose-Wetter! Wir sind so langsam auf der Barfussroute angekommen.

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