Bastelwoche in l’Aber Wrac’h

Bastelwoche in l’Aber Wrac’h

17.07.-24.07.2021

Kaum war ich wieder alleine an Bord war es vorbei mit Ferien und Sightseeing und ich habe stattdessen RARE BREED vom Segelboot zur Baustelle verwandelt. Es scheint so, wie wenn jede Segelwoche soundsoviele Wartungstage gegenüberstehen. Der „Segel-zu-Bastel-Faktor“ ist mir noch nicht klar, aber ist wohl ungünstiger als man wahrhaben will… Und weil alles gut verstaut ist, entsteht innert kürzester Zeit ein unvorstellbares Chaos an Bord, wenn man Werkzeuge und Ersatzteile hervorkramen muss.

Chaos im Salon. Mangels Werkbank müssen die Werkzeuge auf dem Salonboden ausgebreitet werden…

Es hatte sich in den letzten Wochen so einiges an To-Do’s auf meiner Liste angesammelt. Dazu kamen natürlich auch die Sachen, die ich schon lange im Kopf hatte, aber für die es bis jetzt noch nicht gereicht hatte – allem voran unsere Heckplattform. Als der Geräteträger am Heck für die Sonnenzellen gebaut wurde, musste er untenherum mit einem Rohrgerüst stabilisiert werden. Es hat sich angeboten, dieses Gerüst so zu machen, dass man später eine Art Plattform draufmachen konnte. Dieses „später“ war jetzt gekommen. Die Idee war, eine möglichst leichte, aber trotzdem stabile Konstruktion zu erstellen, damit wir bei schönem Wetter dort hinten – quasi unter dem Sternenhimmel – auch schlafen konnten.

Boot oder Schreinerei?

Mit nur ein paar Tagen Zeit zur Verfügung ging ich davon aus, dass der erste Wurf noch nicht das Gelbe vom Ei werden würde und dass es später mit richtigen Schaum- oder Honey-Comb-Platten nochmals gemacht werden wird. Also habe ich (noch als Cynthia dabei war) im Baumarkt grosse 10 mm dünne Sperrholzplatten besorgt. Das Beladen des kleinen Miet-Peugeots mit 3 Platten von 220 cm Länge war eine Sache für sich. Mangels Dachträger mussten die Cockpitkissen herhalten und verspannt wurde das ganze, indem wir die Spanngurte durch die Türöffnungen zogen und so die ganze Ladung „um’s Dach herum“ sicherten. Cynthia hatte schon im Vorfeld ihre Bedenken geäussert und sich geweigert das Auto so zu fahren. Also bin ich gefahren und langsam und gemütlich kamen wir heil am Ziel an. Ich denke aber, dass die Franzosen solchen Fuhren eher gelassen gegenüberstehen und es hat uns niemand gestoppt oder komisch geschaut.

Sitzpolster statt Dachträger tut’s auch 🙂

Da diese Platten zwar leicht, aber nicht genügend stabil waren, habe ich mir eine Art „hängende“ Konstruktion, welche mit einem Aluprofil und dünnen Seilen nach oben an den Geräteträger versteift werden soll, ausgedacht. Den grössten Teil der Arbeit konnte ich alleine bewältigen, aber wie so oft liegt die Tücke im Detail und zum Glück hat ein befreundeter Segler, Gottfried von der Schweizer Yacht MOANA, mir dabei geholfen, das Aluprofil und die letzten Schrauben von unten an das Holz zu schrauben. Alleine wäre es schlichtweg unmöglich gewesen. Der arme Gottfried musste dafür unter der Plattform auf dem Rücken liegend im Beiboot arbeiten. An sich nicht so schlimm, wenn das Beiboot nicht dicht unter der Plattform in seinen Halterungen (Davits) hängen würde. Er musste sich also zuerst dort reinrobben und dann über Kopf arbeiten. Dass es einer der wenigen wirklich heissen Tage in l‘Aber Wrac’h war, hat es auch nicht einfacher gemacht. Was zuerst wie eine kurze Sache ausschaute, hat uns dann doch geschlagene 3 Stunden beschäftigt. Gottfrieds lakonischer Kommentar: „Ich konnte wenigstens im Schatten arbeiten!“

Das „Fundament“ bzw. Stabilsierungsgerüst vom Geräteträger, wo die Plattform montiert werden soll.
Es wird gesägt, geschliffen und gebohrt, dass ich mich langsam gewundert habe, dass niemand von der Marina reklamiert hat…
Zum Thema: „Aus Erfahrung wird man klug…“ oder die „Anti-„Plopp!“-Werkzeugsicherung… Also wenn jemand zufällig einen 8er-Ringgabelschlüssel zu viel hat, ich hätte Interesse….
Die temporäre Aufhängung zur Stabilisiserung ist angebracht. Jetzt kann man auch drauf stehen. Positiver Nebeneffekt der Plattform: Das Beiboot hängt zukünftig im Schatten, was seiner Lebensdauer in den Tropen sehr zutäglich sein wird. Das starke Sonnenlicht frisst sich regelrecht durch die Gummihülle.
Erste Farbschicht drauf und die Alukiste montiert
Handläufe mit angeklebter Holzplatte als Sicherung und Verstärkung montieren
Nachtansicht mit den „Begrenzungsleuchten“. Der Gag musste sein 🙂

Daneben gab es natürlich diverses anderes zu machen, um RARE BREED für den nächsten geplanten Schlag über die Biskaya und runter zu den Kanaren fit zu machen. Dies war das erste Mal, wo wir mehrere Tage weit weg von Land segeln würden – ausserhalb Mobilfunkabdeckung und weit weg von Schutzhäfen. Das heisst, ich musste endlich die Wettervorhersagen auch über das Satellitengerät reinholen können und die „Grab-Bags“ (wasserdichte Taschen mit Lebensmitteln und anderen Überlebensutensilien, die wir im Ernstfall mit in die Rettungsinsel nehmen würden) einrichten und Reservewasserkanister sicher aber greifbar unterbringen.

Zwei Fenster hatten kleine Lecks entwickelt, die abgedichtet werden sollten, alle Splinte und Sicherungsringe am Rigg und an der Reling (das Geländer ums Schiff) mussten überprüft und mit Tape abgeklebt werden. Dann waren noch der kleine Benzingenerator und die Notlenzpumpe, die in Betrieb genommen werden sollten usw. usw.

Die Notlenzpumpe geht ganz schön ab – 10’000 Liter/Stunde Förderleistung sollte auch mit etwas grösseren Lecks klar kommen
Und alles zusammen griffbereit in der Alukiste auf der Plattform versorgt

Und nicht zuletzt das ganze Boot putzen und die gesamte Bettwäsche und angesammelte Schmutzwäsche der letzten Wochen waschen und die Frischwarenvorräte aufstocken. Kurzum – ich war locker die ganze Woche beschäftigt. (Nennt man das nicht Ferien…?)

Waschtag
Neue Halterung für den kleinen Cockpittisch
Und wieder einkaufen und alles an Bord so versorgen, dass sich die Frischware lange hält

L’Aber Wrac’h hatte, wie alle Häfen hier in der Bretagne, auch einen erheblichen Tidenhub von ca. 5 m. Um auf den Schwimmsteg zu kommen, muss man ca. 50 m lange Fussrampen benutzen, die bei Hochwasser mehr oder weniger waagerecht zum Steg führen und sich bei Tiefwasser steil nach unten neigen. Um Gepäck oder Einkäufe den langen Weg vom Parkplatz zum Schiff zu transportieren gab es grosse Schubkarren, die locker den Inhalt eines kompletten Kofferraums schluckten. Logisch, dass wir auch so einen Karren verwendeten, um unsere Einkäufe zum Boot zu bringen, und logischerweise war es ausgerechnet dann Tiefwasser…

Der Hafen in l’Aber Wrac’h bei Tiefwasser
Die Rampe zum Steg: Bei Hoch- und bei Tiefwasser…

Was auf ebener Strecke problemlos zu meistern war, erwies sich auf der steilen Rampe als schlichtweg unhaltbar. Oben auf der Rampe stehend dachte ich noch, dass der Wagen ziemlich schieben würde, aber was dann kam hat meine Befürchtungen um einiges übertroffen. Ich hatte keine Chance die Fuhre zu halten. Nur indem ich den Wagen ins Geländer der Fussrampe reinfahren liess und mich zusätzlich dagegen verkeilte, konnte ich in letzter Sekunde verhindern, dass unsere gesamten Einkäufe 5 Meter ins Hafenbecken runter gefallen sind. Schritt um Schritt und mit tatkräftiger Bremshilfe durch Gottfried kamen wir schliesslich nassgeschwitzt, aber heil unten an. Eine Chartercrew hatte das ganze Manöver beobachtet und ihr ursprüngliches Vorhaben, ihre Reisetaschen mit so einem Schubkarren zum Auto zu bringen schnell verworfen und alle Taschen einzeln hoch geschleppt. Naja, es steht jeden Tag ein Depp auf, von dem man lernen kann… 

Und da der Plan war sofort abzulegen, wenn Biggi wieder kam und es dieses Mal mindestens 3, wenn nicht noch mehr Seetage geben würde, habe ich am Samstag vorgekocht.

Chickencurry und Chilli con Carne 🙂

Kurz nach RARE BREED kam auch die MOANA aus Roscoff nach l‘Aber Wrac’h und die Freude war gross Gottfried und Sandra, die Biggi und ich in Amsterdam kennengelernt hatten, wiederzusehen. Da wir ein Mietauto für die ganze Woche gemietet hatten, konnten die beiden natürlich auch ihre Besorgungen damit erledigen. Teilweise waren wir auch miteinander damit unterwegs. Gottfried hatte sich wenige Tage vorher einen kleinen Metallsplitter im Finger eingefangen und beim Rausnehmen hat sich der Finger entzündet. Dies wurde schnell schlimmer und immer schmerzhafter. So suchten wir gemeinsam nach einem Arzt und da mein Französisch einen Tick besser als das von Gottfried war, habe ich den Dolmetscher gemacht. Nachdem die lokale Ärztin den Finger angeschaut hatte, war ihr Entscheid eindeutig – da müsse so schnell wie möglich geröntgt werden um zu sehen, ob noch etwas im Finger drin sei. Das hat uns zur abendlichen Odyssee durch den Notfall im Brest geführt. Als wir nach dem Röntgen (es war kein Metall mehr im Finger) – Stunden später – endlich in den Untersuchungsraum reinkamen, lagen da schon das Skalpell und Verbandsmaterial bereit. Gottfrieds (und auch meine) Erleichterung war gross, als es dann aber hiess, dass er nur eine starke Antibiotikakur und Schmerzmittel brauche. Die Vorstellung, dass an der Hand rumgeschnibbelt wird, ist alles andere als erfreulich, zu gross ist das Risiko später mit den Folgen von eventuellen Fehlern leben zu müssen. 

Mit Gottfried in der Notfallaufnahme in Brest

Gottfrieds Erleichterung und Dankbarkeit mich als Dolmetscher dabei zu haben kannte keine Grenzen, und so wurde ich am Abend danach zur Grillparty auf der MOANA eingeladen. Jetzt muss man wissen, dass die MOANA ein sehr grosses und perfekt ausgestattetes Boot ist. Sie hatten bei der Bestellung alle Optionen einbauen lassen – insbesondere auch einen fest installierten Grilltisch auf der ausklappbaren Heckplattform. Und zwar keinen 08-15-Grill, sondern einen regelrechten Profigrill mit allem drum und dran. Dahinter stand nun Gottfried in seiner Schürze mit dem Spruch „Küchen-Kapitän“ und hat gegrillt, dass es jedem Argentinier Freudentränen in die Augen getrieben hätte. Die Leute, die am Steg an uns vorbeigelaufen sind, haben alle gestaunt und der Hund vom Nachbarn konnte nur mit Mühe und Not daran gehindert werden, wegen dem unwiderstehlichen Grillduft bei uns an Bord zu springen.

Der Küchen Kapitän in Action
… und der zufriedene Bewirtete im bequemen Cockpit der MOANA

Und mit einigen Besuchen zu dem urigen Hafenrestaurant, wo es Austern und Muscheln aus eigener Zucht gab, haben wir einige vergnügliche Abende zusammen verbracht. Die MOANA Crew hat sich rührend um mich als temporären „Einhandsegler“ gekümmert.

Dies ist einer der Aspekte, die ich an diesem Leben so liebe: Man lernt innert kürzester Zeit Leute kennen, die man im normalen Leben vermutlich nie getroffen hätte. Und weil alle wortwörtlich im gleichen Boot sitzen (Gottfried und Sandra mussten dringen Ersatzteile für ihr WC haben…) hat man sofort Anknüpfungspunkte und gemeinsame Interessen, auch wenn man womöglich aus einem ganz unterschiedlichem sozialem Umfeld stammt. Man verbringt in kurzer Zeit sehr viel Zeit miteinander, erlebt Sachen zusammen, lernt voneinander und hilft sich gegenseitig, wenn Not am Mann ist. So entsteht sehr schnell eine Vertrautheit, für die es zuhause oft Jahre gebraucht hätte. Umso trauriger ist es dann, wenn sich die Wege wieder trennen, aber ein Wiedersehen irgendwo auf der Welt wird es sicher geben.

Gottfried und Sandra von der MOANA

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2 Gedanken zu „Bastelwoche in l’Aber Wrac’h

  1. Ciao Jan – mit Interesse und Vergnügen lese ich regelmässig deine/eure Blog-Berichte über das vielseitige und spannende Leben auf See und den Häfen. Ich hatte in den letzten Monaten ja auch etwas Zeit gewonnen seit ich das IBM-‚Sales-Hamsterrad‘ per Ende April verlassen habe und mich neben der Jobsuche vermehrt auch anderem widmen konnte. Inzwischen scheint meine Jobsuche kurz vor dem Ziel zu sein und wie’s aussieht werde ich die nächsten Wochen noch den hiesigen Super-Sommer geniessen können bevor es im September wieder losgeht…
    Gestern hatten wir Freunde zu Besuch, die auch mit der Planung eines ca. einjährigen Segeltörns begonnen haben, den sie in ca. 4 Jahren (wenn ihre Kinder etwas älter sind) unternehmen wollen. Alex & Siri werden wohl bald interessierte Leser eures Blogs werden …

    Ich wünsche Euch weiterhin viel Spass und spannende Erlebnisse auf Eurer Reise auf See und an den Destinationen, die ihr ansteuert und werde diese weiterhin mit Interesse verfolgen! Herzliche Grüsse Roli

    1. Hallo Roli,

      Danke für die netten Worte und herzliche Gratulation zur neuen Stelle! Ich werde ab Ende August bis ca Ende Oktober in der Schweiz sein (bevor es endgültig auf’s Boot geht.) Würde mich über ein Treffen mit dir in dieser Zeit sehr freuen. Werde mich bei dir melden.
      Liebe Grüsse aus Lanzarote
      Jan

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